26. Oktober 2025

Default Parenting: Wenn „Wie kann ich dir helfen?“ sich anfühlt wie eine zusätzliche Last


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Es ist einer dieser Abende, an denen alles gleichzeitig passiert: Die Kinder streiten, das Abendessen brennt an, das Handy vibriert, weil die Kollegin nur noch eine Frage hat und dein Partner oder deine Partnerin steht in der Tür und sagt: „Wie kann ich dir helfen?“

Und du spürst keine Entlastung, sondern Wut und noch mehr Druck. Denn du müsstest jetzt erklären, was genau zu tun ist, wie es zu tun ist, und warum es überhaupt getan werden muss. Also sagst du lieber schnell und unwirsch: „Schon gut, ich mach’s schnell selbst.“

Willkommen im Default Parenting – einem unsichtbaren Muster, in dem eine Person die Hauptverantwortung für Kinder, Alltag und mentale Planung trägt. Was als Fürsorge beginnt, wird mit der Zeit zu einer stillen Erschöpfung, die nicht nur dich betrifft, sondern auch die Partnerschaft und das ganze Beziehungssystem der Familie.

Als Resilienztherapeutin erlebe ich in meiner Praxis immer wieder, wie gut gemeinte Hilfsangebote in solchen Momenten wie kleine Tropfen auf einem übervollen Becher wirken. Nicht, weil Hilfe falsch ist – sondern weil mentale Last mehr mit innerer Verantwortung zu tun hat als mit einzelnen Aufgaben.

In diesem Artikel möchte ich zeigen, wie Paare lernen können, Verantwortung wirklich zu teilen – nicht als Pflicht, sondern als Ausdruck von Nähe, Vertrauen und gemeinsamer Resilienz.

Einer macht alles, beide leiden: Die Wahrheit über Default Parenting

In vielen Partnerschaften, vor allem in Familien mit kleinen Kindern, gibt es ein unausgesprochenes Muster: Eine Person übernimmt wie selbstverständlich den Großteil der Verantwortung für die Kinder, die Organisation des Alltags, die Arzttermine, die Geburtstagsgeschenke, die WhatsApp-Gruppen der Schule – kurz: die „mentale Last“. Zusätzlich zum Berufsalltag, auch wenn dieser nur Teilzeit ausgeübt wird. Dieses Phänomen wird Default Parenting genannt.

Der oder die „Default Parent“ ist die erste Ansprechperson für alles, was mit den Kindern (und oft auch dem Haushalt) zu tun hat. Selbst wenn der andere Elternteil liebevoll, präsent und engagiert ist – die Hauptkoordination bleibt meist bei einer Person hängen. Und genau hier beginnt häufig das leise Zerbröckeln der Partnerschaft.

Wenn Fürsorge zur noch mehr Erschöpfung führt

In meiner therapeutischen Praxis erlebe ich immer wieder, wie Default Parenting langfristig zu Erschöpfung, Frustration und innerem Rückzug führt.
Viele meiner Klientinnen (und auch einige Klienten) beschreiben ein ähnliches Gefühl:

„Ich bin nie wirklich frei – selbst, wenn ich mal nicht bei den Kindern bin, läuft alles durch meinen Kopf.“

Diese dauerhafte mentale Anspannung verhindert echte Erholung. Gleichzeitig entsteht in der Beziehung ein Ungleichgewicht: Der Default Parent fühlt sich allein gelassen, während der andere Partner sich möglicherweise unbewusst ausgeschlossen oder kritisiert fühlt. Das Ergebnis: Missverständnisse, Streit, emotionale Distanz.

Wie Default Parenting die Paarbindung schwächt:

In resilienten Partnerschaften gibt es ein Gleichgewicht aus Geben und Nehmen.
Beim Default Parenting kippt dieses Gleichgewicht oft – schleichend und unbewusst.

Hier einige typische Dynamiken:

  • Rollenverhärtung: Einer ist „zuständig“, der andere „hilft“. Das erzeugt Hierarchien statt Partnerschaft.
  • Unbewusste Schuldgefühle: Der weniger eingebundene Partner fühlt sich oft schuldig – und zieht sich dadurch noch weiter zurück.
  • Kommunikationsabbrüche: Gespräche drehen sich nur noch um To-do-Listen statt um Nähe, Werte oder gemeinsame Träume.
  • Verlust von Leichtigkeit: Die Beziehung wird funktional, nicht mehr lebendig.

Wege aus dem Ungleichgewicht – Resilienz in der Partnerschaft stärken

Resilienz bedeutet, innere und äußere Ressourcen so zu aktivieren, dass wir trotz Belastung in Verbindung bleiben – mit uns selbst und mit dem anderen.
In Bezug auf Default Parenting heißt das:

1. Bewusstmachen statt Vorwerfen

Der erste Schritt ist, das Muster zu erkennen – ohne Schuldzuweisungen.
Statt „Du machst nie was!“ hilft ein „Ich merke, dass ich sehr viel übernehme und mich damit überfordert fühle. Können wir das gemeinsam anschauen?“

2. Last sichtbar machen

Ein „Mental Load Check-in“ kann helfen: Beide Partner notieren für eine Woche alle Aufgaben, die sie übernehmen. Das schafft Bewusstsein und öffnet Raum für faire Verteilung.

3. Verantwortung teilen, nicht delegieren

Resiliente Paare finden Wege, Aufgaben gemeinsam zu tragen, statt sie von einer Seite zur anderen zu schieben.
Beispiel: Nicht „Kannst du mal die Kinder anziehen?“, sondern „Lass uns gemeinsam überlegen, wie wir den Morgen entspannter gestalten können.“

4. Selbstfürsorge ernst nehmen

Der Default Parent braucht Zeiten echter Erholung – nicht nur kurze Pausen.
Das bedeutet: Verantwortung bewusst abgeben, ohne schlechtes Gewissen.

5. Zärtlichkeit und Humor pflegen

Gerade in belasteten Phasen sind kleine Gesten der Nähe und gemeinsames Lachen ein mächtiger Schutzfaktor für die Beziehung.

Fazit: Partnerschaft als resilienter Raum

Default Parenting ist kein persönliches Versagen, sondern oft das Resultat gesellschaftlicher Rollenbilder und unbewusster Gewohnheiten.
Doch mit Achtsamkeit, ehrlicher Kommunikation und einer Portion Mut lässt sich das Muster verändern.

Wenn beide Partner bereit sind, Verantwortung und Emotionen zu teilen, kann aus dem Gefühl der Überforderung eine neue Form von Nähe entstehen.

Denn Resilienz bedeutet nicht, alles aushalten zu müssen – sondern gemeinsam Wege zu finden, die tragen. Wenn Sie merken, dass der Alltag mehr trennt als verbindet, ist das kein Zeichen von Scheitern – sondern ein Moment, neu hinzusehen.

Dann sollten wir darüber sprechen, was euch trägt, was euch fehlt und wo ihr euch gegenseitig wirklich entlasten könnt. Gern begleite ich Sie dabei, wieder in Verbindung zu kommen – miteinander und mit sich selbst.


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