20. Juni 2025

Unsichtbar stark: ADHS bei erwachsenen Frauen


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Wenn wir an ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) denken, sehen viele von uns noch immer das stereotype Bild des zappelnden Jungen auf dem Schulhof vor sich. Doch ADHS ist weitaus vielfältiger – und oft unsichtbar. Besonders bei erwachsenen Frauen bleibt die Diagnose jahrelang unentdeckt. In meiner Arbeit als Resilienztherapeutin begegnen mir immer wieder Klientinnen, die erst spät im Leben verstehen, warum sie sich „irgendwie anders“ fühlen.

Äußerlich still und verträumt – innerlich im Dauerstress

Viele Frauen, bei denen später ADHS diagnostiziert wird, zeigen gar keine offensichtliche Hyperaktivität. Sie sind oft still, zurückgezogen, verträumt – innerlich jedoch im Dauerstress. Diese Form wird als ADS bezeichnet (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ohne Hyperaktivität), ist aber Teil des ADHS-Spektrums.

Kurz erklärt:

  • ADHS (klassisch): Unaufmerksamkeit + Hyperaktivität + Impulsivität
  • ADS (ohne Hyperaktivität): Vor allem Unaufmerksamkeit, innere Unruhe, Reizüberflutung

Gerade ADS bei Frauen wird häufig übersehen oder falsch eingeordnet – z. B. als Persönlichkeits- oder auch Angststörung, Depression oder Burnout.

Der stille Schrei nach Anerkennung und Gesehenwerden

Denn bei Frauen zeigt sich die Aufmerksamkeits-Defizit-Störung häufig in Form von innerer Unruhe, emotionaler Überforderung, Vergesslichkeit und chronischer Erschöpfung. Viele meiner Klientinnen beschreiben ein Leben voller Selbstzweifel, Perfektionismus und dem ständigen Gefühl, nicht zu genügen – trotz erkennbarer Stärke und enormer Leistungsbereitschaft. Sie wissen zwar, dass sie die Systeme, in denen sie sich befinden zusammen halten, fühlen sich dabei aber nicht gesehen, weil sie sich selbst nicht richtig sehen und sich ihren eigenen Wert kleinreden.

Typische Symptome bei Frauen:

  • Prokastination
  • Konzentrationsprobleme und „Abschweifen“ in Gesprächen
  • Schwierigkeiten, den Alltag zu strukturieren
  • Reizüberflutung und emotionale Achterbahnfahrten
  • Impulsives Verhalten in Beziehungen, Jobwechseln oder Ausgaben
  • Starke Selbstkritik und geringes Selbstwertgefühl

Maskieren und kompensieren

Viele Frauen haben gelernt, sich anzupassen. Sie entwickeln Strategien, um ihr ADHS oder ADS zu „maskieren“: Sie überorganisieren ihren Alltag, überkompensieren mit Perfektionismus oder ziehen sich zurück, um niemandem zur Last zu fallen. Die Folge: ein Leben im inneren Dauerstress – oft bis zur völligen Erschöpfung.

Als Resilienztherapeutin sehe ich hier die Notwendigkeit, nicht nur Symptome zu betrachten, sondern auch Ressourcen zu stärken. Die Erkenntnis über ADHS oder ADS kann für viele Frauen ein Wendepunkt sein – ein Akt der Selbstanerkennung und Befreiung.

Mit Resilienz das Aufmerksamkeitsdefizit ausgeleichen

Resilienz – also die Fähigkeit, mit Belastungen konstruktiv umzugehen – ist bei Frauen mit ADHS oder ADS besonders wichtig. Doch Resilienz bedeutet nicht, „noch mehr durchzuhalten“. Es geht vielmehr darum, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, sich selbst zu erlauben, anders zu sein – und tragfähige Strukturen zu schaffen.

Ansätze aus meiner Praxis:

  1. Selbstverständnis entwickeln
    Die Diagnose oder der Verdacht ist kein Stigma, sondern ein Schlüssel. Psychoedukation hilft, Zusammenhänge zu verstehen und Schuldgefühle abzubauen.
  2. Individuelle Routinen etablieren
    Flexible, aber realistische Strukturen im Alltag reduzieren Chaos im Außen und Innen. Tools wie visuelle Zeitplanung, Timer oder Reminder können entlasten.
  3. Emotionale Regulation üben und Energiequellen definieren
    Achtsamkeitsübungen, Journaling, Sport oder Wohlfühltätigkeiten helfen, aus der Reizüberflutung zurück in den Kontakt mit sich selbst zu finden.
  4. Soziales Umfeld sensibilisieren
    Ein offener Umgang mit ADHS oder ADS ermöglicht Unterstützung – sei es im Job, in der Familie oder in der Partnerschaft.
  5. Ressourcenarbeit statt Defizitblick
    Was sind Ihre Stärken? Viele Frauen mit ADHS oder ADS sind kreativ, empathisch, leidenschaftlich. Resilienz heißt auch: den Fokus auf das zu lenken, was trägt.

Ziel: Mit liebevollem Blick die eigene Besonderheit erkennen

ADHS bei erwachsenen Frauen – in all seinen Ausprägungen – verdient mehr Aufmerksamkeit. Nicht nur in der Diagnostik, sondern auch in der therapeutischen Begleitung. Menschen mit dieser Besonderheit sind häufig ungeschliffene Diamanten und erkennen nicht ihren unschätzbaren Wert. Als Resilienztherapeutin sehe ich es als meine Aufgabe, Frauen zu ermutigen, ihre eigene Geschichte neu zu schreiben. Mit Selbstmitgefühl. Mit Klarheit. Und mit der Erkenntnis:
Ich bin nicht falsch. Ich bin vielschichtig.

Sie vermuten, dass ADHS oder ADS auch für Sie ein Thema sein könnte?

In meiner Praxis begleite ich Frauen auf ihrem Weg zu mehr Selbstverständnis und innerer Stärke. Denn Resilienz ist kein Zustand – sondern ein Prozess, den wir gemeinsam gestalten können.


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