15. März 2025

Wut: ein Star unter den Gefühlen mit Imageproblem


Wut - ein Star unter den Gefühlen mit Imageproblem

Respektlos, übergriffig, grenzüberschreitend: unfaires Verhalten anderer löst Wut aus – zu Recht. Gesellschaftlich wird Wut allerdings meist negativ bewertetet und führt dazu, dass Menschen selten dazu bereit sind, zu ihrer Wut zu stehen oder darüber zu sprechen. Dabei steht der Zorn in seiner ursprünglichen Funktion für die Beseitigung eines Hindernisses, er lindert unsere Angst und bewirkt in kontrollierter Form gar etwas Positives. Aber gibt es offizielle Maßstäbe, wann Wut erlaubt ist, in welcher Form und in welchem Maß? Und wie entsteht eigentlich Wut?

Bodyguard fürs Gehirn: Die Amygdala

Intensive Gefühle wie Angst, Bedrohung und Wut entstehen in einem evolutionär alten Bereich unseres Gehirns, dem limbischen System, das aus einer Ansammlung von Nervenzellkörpern besteht – die Amygdala.

Wenn ein potenzieller Auslöser für Wut wahrgenommen wird, reagiert sie blitzschnell. Sie leitet Signale an andere Teile des Gehirns weiter, insbesondere an den Hypothalamus, der dann die Stressreaktion über das autonome Nervensystem in Gang setzt. Lässt der Mensch dann seiner Wut freien Lauf, steigen Atem- und Pulsfrequenz, ebenso wie der Blutdruck. Die Muskeln spannen sich an, Blutgefäße verengen sich. Durch den erhöhten Blutdruck schottet sich das Gehirn von Außenreizen ab. Es entsteht eine veränderte Wahrnehmung, die Rationalität ausblendet und Kurzschlusshandlungen fördert. Der Körper wird auf Kampf oder Flucht vorbereitet. 

Während die Amygdala spontan und emotional reagiert, gibt es auch einen Gegenspieler, der regulierend wirkt – der präfrontale Kortex. Er hilft uns, Impulse zu kontrollieren, Situationen nüchtern zu bewerten und angemessen zu handeln. Dieses Zusammenspiel lernen wir Menschen optimalerweise in unserer Kindheit. 

Tragischer Held: Die unterdrückte Wut

Häufig erleben Kinder in der Trotzphase, zwischen dem ersten und dem fünften Lebensjahr, intensive Wutanfälle. Das liegt nicht daran, dass sie ungezogen sind, sondern daran, dass ihr Gehirn noch mitten in der Entwicklung steckt. Während die Amygdala bereits sehr aktiv ist, ist der präfrontale Kortex, der Teil des Gehirns, der Impulse kontrolliert, noch lange nicht ausgereift.

Das heißt: Kinder haben in ihrer Wut noch keine Bremse im Gehirn. Sie erleben Frustration, weil sie ihre Bedürfnisse und Wünsche noch nicht vollständig kommunizieren können oder weil sie sich machtlos fühlen. Gefühle treten plötzlich, geradezu explosiv und scheinbar grundlos auf.

In dieser Entwicklungsphase ist es wichtig, Kinder beim Umgang mit ihren Gefühlen zu begleiten. Denn Wut ist keine schlechte Emotion – sie zeigt an, dass ein Bedürfnis nicht erfüllt ist, oder dass ein Kind sich ungerecht behandelt fühlt. 

Selbstwert: Wer wütend ist, kämpft für sich

Wenn Menschen in ihrer Kindheit allerdings nicht erfahren, dass ihre Wünsche, Bedürfnisse und Grenzen respektiert und geachtet werden, schadet dies ihrem Selbstwert. Sie lernen nicht, ihre Autonomie und Grenzen erkennen und regulieren zu können und entwickeln nicht die Fähigkeit, mit dem Gefühl der Wut umzugehen. Häufig wird diese dann einfach unterdrückt und es bleibt das Gefühl von Ohnmacht und mangelnder Selbstwirksamkeit. Das hat langfristige und eventuell fatale Folgen. 

Es bleibt das Gefühl des Ausgeliefertseins, wir tragen den Glaubenssatz in uns: Wenn ich will, dass du mich liebst, muss ich deinen Erwartungen entsprechen und aushalten, was du von mir verlangst. Diese frühe Erfahrung aus der Kindheit wird dann häufig ins Erwachsenenalter fortgetragen und wirkt sich auch auf spätere Beziehungen aus. Denn unsere aktuelle Wahrnehmung mischt sich immer mit unseren Erinnerungen und die Bewertung von Situationen werden verzerrt. 

Das Comeback der Wut

Aber wie können wir auch im Erwachsenenalter noch einen gesunden Umgang mit Wut erlernen? Als erstes muss die Wut als Gefühl frühzeitig wahr- und ernstgenommen werden. Sie muss lauter werden als der Wunsch nach Anpassung und die Angst vor dem Konflikt. Wir müssen ihr Raum geben, denn Wut hat als Gefühl ebenso eine Berechtigung wie Freude, Trauer oder Angst. Gelingt uns das, erreichen wir eine Steigerung des eigenen Selbstwertes. Wir bringen uns auf Augenhöhe mit anderen und hören auf uns unterzuordnen. Diese drei Schritte helfen uns dabei: 

  • das Verständnis zu akzeptieren, dass Wut als Gefühl wichtig ist und uns schützen kann.
  • die Emotionsregulation mit der die eigene Wut reflektiert und frühzeitig und ruhig ausgedrückt werden kann.
  • Rituale zur Beruhigung: Atemübungen, feste Routinen oder ein Rückzugsort helfen, das Nervensystem zu beruhigen

Und dann hilft es noch, die Wut in dem Moment, in dem sie auftritt, kurz zu analysieren und von außen zu betrachten. Denn wenn alte Wut sich zu lange aufstaut, ist es wie mit einem aufgeblasenen Ballon, den man unter Wasser drückt. Irgendwann lässt er sich nicht mehr halten und schießt an die Oberfläche. Es kann dann schon ein kleiner Auslöser ausreichen, um einen unangemessen großen Wutausbruch auszulösen. Hier ist es wichtig, Raum zwischen den Reiz und die Wut als Reaktion zu bringen und sich die Frage zu stellen, werde ich wütend wegen alter Verletzungen oder besteht tatsächlich die Notwenigkeit, mich jetzt abzugrenzen und aufzubegehren.

Ballons sind am schönsten, wenn sie prall und bunt in die Höhe gehalten werden, wie Stars und Sternchen, die nur auf der Bühne ihr Potenzial entfalten und richtig glänzen können. Und so gehören auch unsere Gefühle nicht unterdrückt, sondern sie sollten in all ihrer Vielfältigkeit und Bedeutsamkeit gesehen und geachtet werden.


Kategorien und Schlagwörter durchsuchen: